Texte von "Klänge in der Nacht" am 11.12.2015
Hier finden Sie den Ablauf der "Klänge in der Nacht" am 11.12.2015. Alle hier wiedergegebenen Texte stammen von Heiko Kuschel. Die anderen können wir aus Copyright-Gründen leider nicht veröffentlichen. Manche sind aber mit anderen Quellen verlinkt.
Lied: Es kommt ein Schiff geladen
Text: Heiko Kuschel (Klick hier - mit Aufnahme)
Dezemberabend 72
Tomas Tranströmer
Mose an der Kanzel
Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Als ein Zeichen für die Menschen: Die Predigten hier, sie stehen auf dem Grund der Zehn Gebote. Die Predigten, die hier gehalten werden, sie fußen auf dem Alten Testament. Ihr habt gemeinsame Wurzeln mit dem Judentum. Manchmal, in eurer Geschichte, da wäre es gut gewesen, ihr hättet auf dieses Zeichen geachtet.
Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Einsam, manchmal hilflos stehe ich da. Ich habe alles gesehen, alles erlebt, was ein Mensch erleben kann. Ich habe euer jetzt, jetzt, jetzt gesehen. Euer Leben. Arbeit und Schlaf. Krieg und Zerstörung. Wiederaufbau. Hoffnung. Große Feste, große Trauer. Und immer wieder die Frage: Was hat das mit Gott zu tun? Wo ist er, wenn wir trauern? Was ist Gottes Platz, wenn wir feiern? Was verbindet Gott und die Welt?
Oder andersherum gefragt: Wo ist Gott in dieser Welt? Wo ist er, wenn wieder mal Menschen bei Anschlägen sterben? Wo ist er, wenn sie im Bombenhagel sterben, egal, wer diese Bomben abgeworfen hat? Ich selbst hab's erlebt, damals, am 24. Februar 1944. Damals zersplitterte diese Kanzel, die ich trage, in tausende Stücke. Ein Teil dieser alten Kirche stürzte ein, getroffen von einer Bombe.
Wo ist Gott? Wo war er damals, wo ist er jetzt, wenn Menschen sterben? Wenn sie verhungern, ertrinken, erschossen werden? Ist er bei diesen Menschen? Liebt er sie?
Wo ist Gott? Wo ist er, wenn in Menschen der Hass und der Wahnsinn wachsen, wenn sie nur noch Zerstörung suchen, Tod und Gewalt? Ist er auch in diesen Menschen? Liebt er sie?
Gott und die Welt. So habt ihr die Ausstellung genannt, die in dieser Kirche zu sehen ist. Gott und die Welt. Was ist es – dieses UND? Was verbindet Gott mit dieser Welt? Hat er noch etwas zu sagen, so wie damals, als er mir die Tafeln mit den Zehn Geboten übergab? Ist er noch Wegweiser, so wie damals, als er uns aus der Knechtschaft in die Freiheit führte? Ist er noch da, redet er mit euch, so wie er mit mir damals redete?
Gott und die Welt. Wo ist das UND geblieben?
Gebet
Dietrich Bonhoeffer
Das ist für euch
Das ist für euch, die ihr mit Sturmgewehren
und Bomben meint, den Glauben zu verbreiten.
Mit Toten glaubt ihr, euren Gott zu ehren,
mit Unterdrückung wollt ihr ihm den Weg bereiten.
Das ist für euch, die ihr den eignen Glauben
verkennt und ihn für euren Hass missbraucht.
Die ihr Diskurs und Meinung niemals wollt erlauben,
die ihr die Angst, den Hass für eure Macht gebraucht.
Wir lassen uns die Liebe nicht vermiesen.
Wir leben weiter, fröhlich, unverzagt.
Wir bleiben voller Hoffnung, auch in Krisen.
Das Leben wolln wir feiern, Nacht und Tag.
Wir lassen uns die Freiheit niemals nehmen,
das Mitgefühl und unsre Menschlichkeit.
Wir bleiben voller Hoffnung und voll Sehnen
nach tiefem Frieden, der von Hass befreit.
Das ist für euch, mit eurem engen Denken,
so voller Angst und bar von Sicherheit.
So selbst beschränkt, wollt andre ihr beschränken.
Ihr kennt sie nicht, die heitre Fröhlichkeit.
Das ist für euch, die ihr den Glauben ordnet
und keine Ahnung habt von Freiheit und von Glück.
in allen Dingen stets Gehorsam fordert,
ihr kennt den eignen Glauben nicht ein Stück.
Wir lassen uns die Liebe nicht vermiesen.
Wir leben weiter, fröhlich, unverzagt.
Wir bleiben voller Hoffnung, auch in Krisen.
Das Leben wolln wir feiern, Nacht und Tag.
Wir lassen uns die Freiheit niemals nehmen,
das Mitgefühl und unsre Menschlichkeit.
Wir bleiben voller Hoffnung und voll Sehnen
nach tiefem Frieden, der von Hass befreit.
Das ist für euch, die sanftmütigen Helden,
die ihr den Frieden sucht, die ihr barmherzig seid,
die sich für ihren Einsatz lassen schelten,
die hungern und die dürsten nach Gerechtigkeit.
Das ist für euch, die ihr in Flüchtlingsheimen
und auf den Bahnhöfen den Menschen Hoffnung gebt,
die mit den Leidenden und Heimatlosen weinen,
die ihnen zeigen, dass die Hoffnung doch noch lebt.
Wir lassen uns die Liebe nicht vermiesen.
Wir leben weiter, fröhlich, unverzagt.
Wir bleiben voller Hoffnung, auch in Krisen.
Das Leben wolln wir feiern, Nacht und Tag.
Wir lassen uns die Freiheit niemals nehmen,
das Mitgefühl und unsre Menschlichkeit.
Wir bleiben voller Hoffnung und voll Sehnen
nach tiefem Frieden, der von Hass befreit.
Lied für Paris
Kanzel – Zwischenraum
Zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und der Welt schwebt sie: Die Kanzel. Wer hier steht, wird gesehen. Wer hier steht, wird gehört. Von unten stützt Mose, hebt sie empor über die normale Welt. Von oben herab senkt sich die Taube, Zeichen des Heiligen Geistes, auf den Prediger, die Predigerin. Ob wohl alle Predigten, die hier gehalten wurden, wirklich inspiriert waren vom Geist Gottes? Manches, was hier gesagt wurde, dafür schämen wir uns heute, damals, in der Zeit des Nationalsozialismus. Aber auch schon viel früher. Ob die frühen Pfarrer sich wohl auch so judenfeindlich geäußert hatten wie der Reformator Martin Luther?
Zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und der Welt zu vermitteln: Das ist nicht immer leicht. Manchmal ist da zu viel Welt, manchmal ist da zu viel Gott. Und der Heilige Geist, er weht wann und wie er will. Ist nicht verfügbar. Ist ein Geschenk.
Gott und die Welt: Hier berühren sie sich sichtbar. Hörbar. Und doch niemals völlig verfügbar. Gott und die Welt: Eine Geschichte der beiderseitigen Sehnsucht. Der Missverständnisse. Des Leidens. Des Wiederfindens. Der Freude. Gott und die Welt.
Das alte Thema
Marie-Luise Kaschnitz
Kyrie
Tomas Tranströmer
Da berühren sich Himmel und Erde
Taufstein: Papiermodelle
Gott und die Welt. Vierzig Papiermodelle für Silbergefäße hat Juliane Schölß eigens für diesen Ort angefertigt. Wie ein luftig-leichter Schwarm schweben die Entwürfe über dem Deckel des historischen Taufbeckens. Dass der Deckel scheinbar ebenfalls frei hängt, hat die Silberschmiedin zu dieser Installation angeregt. Kelche, Kannen und Becher – für den Abendmahlswein oder das Wasser der Taufe.
„zwischenRaum“ nennt die Künstlerin ihre Arbeit. Die Papiermodelle hängen dazwischen, zwischen Himmel und Erde. Und sie sind lediglich ein Dazwischen, eine Zwischenstufe: Nach der ersten Entwurfszeichnung fertigen Silberschmiede üblicherweise ein Papiermodell an, bevor es schließlich an die eigentliche Ausführung geht.
Gott und die Welt: Diese Gefäße stehen dazwischen. Zwischen Himmel und Erde. Zwischen Entwurf und Realität. Zwischen Gott und Mensch.
Taufe und Abendmahl vermitteln zwischen Gott und uns. Verbinden uns Menschen sichtbar mit Gott und Gott sichtbar mit uns Menschen.
Gnade dazwischen
ich schwebe
im Nichts
Entwurf? Modell? Ein fertiges Gefäß?
bin ein Dazwischen
zwischen allen Welten.
ziellos erdlos himmellos
nicht hinauf nicht hinab
durch die Taufe Bürger des Lichts
durchs Leben Bürger der Dunkelheit
höre den Aufgang
des Dunkels
weiß, es ist da:
Hunger Leid Krieg
existent und
kalt und
bedrückend und
hier.
harre auf den Aufgang
des Lichts
weiß, es ist da:
Sonne in der Nacht
existent und
warm und
strahlend und
nicht hier.
finde nicht den Weg
ziellos erdlos himmellos
nicht hinauf nicht hinab
du findest mich, Gott.
du kennst mein Dazwischen.
meine ungedachten Gedanken
meine ungefühlten Gefühle
meine ungezielten Ziele
du kennst mein Auf
du kennst mein Ab
du kennst
meinen Namen
du rufst mich zu dir
zur Gnade
zum Licht
himmelwärts.
Jesaja 40, 31
Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft,
dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
dass sie laufen und nicht matt werden,
dass sie wandeln und nicht müde werden.
Lied: Amazing Grace
Balthasar Rüffer III
Balthasar Rüffer der Dritte ist mein Name. Ein bedeutender Mann war ich in dieser Stadt. Noch heute ist eine Straße nach mir und meiner Familie benannt, 378 Jahre nach meinem Tod. Ich bin der Erbauer des Schrotturms, zumindest der unteren Hälfte, denn das war schlicht das Treppenhaus unseres Anwesens.
Dabei kam ich als Flüchtling zu euch, hierher nach Schweinfurt. Meine Eltern waren geachtete Würzburger Bürger, doch evangelischen Glaubens. Sie wurden zur Zeit der Gegenreformation aus Würzburg verjagt. Hier in Schweinfurt wurden wir mit offenen Armen empfangen. Nun, unser Reichtum mag an diesem Empfang nicht ganz unschuldig gewesen sein. Wir, die Familie Rüffer, wir halfen dieser Stadt. Mit drei Geldsäcken, so geht die Sage, haben meine Eltern die Stadt aus einer großen Notlage befreit. Drei Geldsäcke finden sich im Wappen, das wir daraufhin mit Stolz tragen durften.
Ratsherr wurde ich. Später Bürgermeister. Ganz am Ende meines Lebens sogar Reichsvogt. Ein hoch angesehener Mann. Nach dem frühen Tod meiner ersten Frau zum zweiten Mal verheiratet. Gesegnet mit vielen Kindern, von denen leider etliche jung starben. Ihr seht meine Familie im unteren Teil dieses Bronzegusses.
Ein hoch angesehener Mann war ich. Doch was bleibt? Was habe ich erreicht, außer dass eine Straße nach mir benannt wurde? Habe ich diese Stadt, die ich so sehr liebte, weitergebracht? Gerechtigkeit und Liebe stellen die zwei Frauengestalten dar, die ihr hier links und rechts auf meinem Grabstein seht. Habe ich das bewirkt mit meinem Leben?
Habe ich Gutes bewirkt, Gerechtigkeit und Liebe, auch in den schweren Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs? Ich glaube und hoffe: Ja.
Grabinschrift
Anno 1637 den 15. September verschied in Gott der Ehrenvest und großachtbar und hochweiß Herr Balthasar Rüffer, Gefreiten Richters und Reichsvogten der Freyen des Heiligen Römischen Reichs Statt Schweinfurth. Seines Alters 68 Jahr. Dem Gott eine fröhliche Auferstehung verleihen wolle. Amen
Es leuchtet der Stern
Karl Rahner
Du Herr über die Zeit
Lebensspur
Bombenhagel über der Stadt.
Leichen, aus dem Schutt gezogen.
Wehklagen weht durch die Straßen,
auf und ab, immerzu,
während die Bomben anderswo noch fallen.
Sind es Mumien, Reste menschlicher Körper?
Was liegt hier, vor dem Altar, vor dem Kreuz Christi?
Es erinnert an das Leiden der Menschen,
überall, in jedem Krieg.
Und doch sind's nur große Eisenflaschen,
in großer Hitze verbogen, geplatzt, gerissen.
In der Hitze entstellt wie Menschen im Bombenhagel.
Spuren des Lebens, das einmal, lang ist's her,
die schöne Stadt durchpulste.
Lebensspuren, so nennt Werner Knaupp sie,
diese Skulpturen.
Wie der Kokon einer Raupe, die zum Schmetterling wurde,
so liegen sie hier.
Wie der letzte Rest eines alten Lebens.
Eines Lebens, das sich aufgemacht hat,
das aufgeplatzt ist,
verformt und neu geformt,
hin zu ihm:
Zu Jesus am Kreuz
Verformt und neu geformt,
durch ihn hindurch:
Durch Jesus am Kreuz
zum Leben. Zur Auferstehung. Zu neuer Hoffnung.
Lebensspuren bleiben zurück.
Reste, leer und fremd.
Was werden unsere Spuren sein
auf dieser Erde?
Sterbeleben
Erich Fried
Zarte Takte tröpfelt die Zeit
Marlies Blauth
Lied: Weitergehn
Abgesang
Marie-Luise Kaschnitz
Lied: Schnee legt sich sanft auf die Straßen
Krippenminiatur
Die wenigsten können erkennen, wovor wir hier stehen. Sie werden nachher noch Gelegenheit haben, einen Blick in diese Nische zu werfen. Darin ist eine Krippe, oder besser: eine Krippenminiatur. Für die Architektur dieser Krippe hat der Künstler Felix Boekamp Fotos von abgebrannten Asylbewerberheimen als Vorbild genommen. Und alles in dieser Krippe wirkt fremd, seltsam, ungewöhnlich. Die Menschen, die Tiere, die Engel: Sie sind aus Einzelteilen von gestorbenen Insekten zusammengefügt.
Die Geburt des Lichts der Welt, das kleine Kind in der Krippe, und der Tod: Sie sind sich so nah. Sie gehören zusammen in dieser Krippenminiatur. Kein Tod ohne das Leben. Kein Leben ohne den Tod. Und was tot ist, wird verwandelt. Verwandelt in neues Leben. Das Wunder des Lebens – auf kleinstem Raum.
Weihnachtswünsche
Hanns Dieter Hüsch
Lied: Der Müden Kraft
Gebet
Weihnachtssegen
Und nun geht. Geht mit Gottes Segen.
Geht hinein ins Dunkel dieser Nacht.
Spürt in allem, was euch dort begegnet,
die Freude, die euch Gott hat zugedacht.
Also geht. Gehet eure Wege.
Füllt die Erde an mit Zuversicht.
Singet laut an gegen alle Zweifel
von dem, der durch dies Kindlein zu uns spricht.
Doch nun geht. Die Nacht ist voller Wunder.
Das Leben ist erschienen uns im Kind.
Es lässt uns ahnen Licht und Fried und Freude
für alle die, die guten Willens sind.
Texte aus den ersten zehn "Klängen in der Nacht" finden Sie im Buch:
"Ich bin Mose. Kirchliche Kunstwerke erzählen" von Heiko Kuschel, ISBN 978-3-7347-4264-4, 7,90 €
www.ichbinmose.de
Ich bin Mose
Texte aus den ersten zehn "Klängen in der Nacht" finden Sie im Buch:
"Ich bin Mose. Kirchliche Kunstwerke erzählen" von Heiko Kuschel, ISBN 978-3-7347-4264-4, 7,90 €
www.ichbinmose.de