Texte der "Klänge in der Nacht" am 9.3.2018
Texte zeitgenössischer Autorinnen und Autoren, für die noch ein Copyright gilt, haben wir nicht mit abgedruckt - mit Ausnahme von Hanna Buiting, die uns dafür die Erlaubnis erteilte. Vielen Dank dafür!
Station 1: Mose
Mose an der Kanzel
Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Als ein Zeichen für die Menschen: Die Predigten hier, sie stehen auf dem Grund der Zehn Gebote. Die Predigten, die hier gehalten werden, sie fußen auf dem Alten Testament. Ihr habt gemeinsame Wurzeln mit dem Judentum. Manchmal, in eurer Geschichte, da wäre es gut gewesen, ihr hättet auf dieses Zeichen geachtet.
Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Ich habe alles gesehen, alles erlebt. Ich habe euch lachen sehen und weinen, zweifeln und hoffen, feiern und klagen.
Ich bin Mose. Vor über 300 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Doch kaum ein Jahr war wie dieses, seit ich das letzte Mal zu euch sprach. Die Welt ist voller Unruhe. Alte Verbundenheit zwischen Völkern scheint nicht mehr selbstverständlich. Krieg, Hunger und große Not treibt Millionen Menschen in die Flucht. Und ihr hier, ihr diskutiert, ob ihr sie noch aufnehmen könnt. Ob euer reiches Land die Belastung noch tragen kann.
So viel Leid. So viel Vertreibung. So viel Elend. Dazu der Klimawandel, der noch viel mehr Menschen, ja ganze Länder in ihrer Existenz bedroht. Was habt ihr aus der Erde gemacht? Gott hatte sie euch anvertraut, sie zu bebauen und zu bewahren. Und nun? Ihr habt versagt, Menschen. Ihr habt euch schuldig gemacht an Gottes guter Schöpfung. Ihr wandelt im Licht. In einem der reichsten Länder der Erde. Doch ich, ich sehe nur noch Kummer, Krankheit, Kriege, Hass und Tod.
Was habt ihr aus Gottes guter Schöpfung gemacht?
Erde
Marie-Luise Kaschnitz
Hyperions Schicksalslied
Ihr wandelt droben im Licht
auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.
Schicksalslos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühte ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.
Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn.
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.
Friedrich Hölderlin
Lied: Es muss doch
Station 2: Der Evangelist Johannes (an der Kanzel)
Johannes
Johannes ist mein Name.
Der Evangelist Johannes.
Einer der Menschen, die aufschrieben, was sie von Jesus gehört hatten.
Einer der Menschen, die diese geradezu unglaublichen Geschichten weitergeben wollten. Doch ich wollte einen anderen Blick auf Jesus werfen als meine Kollegen Matthäus, Markus und Lukas. Ich wollte Jesus selbst zu Wort kommen lassen. Seine Worte habe ich gesammelt und zusammengestellt. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“, so begann ich mein Evangelium.
Ja, das Wort Gottes. Ich vertraue darauf, dass es wirkt. „Ich bin das Licht der Welt“, so sagt Jesus in meinem Evangelium. Das war und ist meine Hoffnung: Dass Jesus das Licht der Welt ist. Dass er die Finsternis besiegt. Dass er, das fleischgewordene, lebendige Wort, sogar den Tod besiegt.
Seit diese Kanzel erbaut wurde, stehe ich hier, den Blick zur Kanzeltür gewandt. Gespannt blicke ich dorthin, um zu sehen, wer diesmal das Wort Gottes verkündigen wird. Wie viele Pfarrerinnen und Pfarrer, wie viele andere Prediger haben unter meinem Blick diese Treppe bestiegen! Ich kann sie nicht mehr zählen. Aber oft, nicht immer, spürte ich in ihren Worten das Wort Gottes am Werk.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Das Licht der Welt kam in unsere Dunkelheit und machte sie hell. Die Hoffnung bleibt stark in uns.
Dunkelnacht
Ich öffnete mein Herz
zum ersten Mal seit urlanger Zeit.
Knarrend, stockend, zögernd nur
bewegte sich
die alteiserne rostige Tür.
Ich blickte hinein
und schreckte zurück.
Dunkel
lag leise, leblos, leer, verlassen
Staub
formte feine Fäden vor den fahlen Fenstern
Sorgen
türmten tausend trübe Trauertode
Nacht
dräute drohend dunkel, düster, dauernd, drängend
Die Türe zu!
Weg damit, weg damit!
doch er, er sprach nur:
Es werde Licht!
Heiko Kuschel
Die Nacht wird nicht ewig dauern
Helmut Gollwitzer
Lied: Im Dunkel unsrer Nacht
Station 3: Vergitterte Nische
Nische
Diese Nische mitten in der Kirche: Niemand weiß, was sie bedeutete.
War sie eine Sakramentsnische, in der man die Reste des Abendmahls aufbewahrte? Doch diese wurden normalerweise im Norden angebracht. Außerdem gab es damals ein eigenes Sakramentshäuschen.
Rätselhaft, diese Nische. Wozu diente sie? Wer hat sie in den Stein gehauen, und zu welchem Zweck? Wer fertigte dieses einfache Gitter?
Vermutlich werden wir es nie erfahren.
Irgendwann hat ein Mensch diese Nische geschaffen. Wir wissen nicht wer, wir wissen nicht wann, wir wissen nicht wozu. Doch sie hat überdauert. Sofern diese Kirche noch steht, wird sie auch in Hunderten von Jahren immer noch von diesem Menschen zeugen.
Echo
Echo von ferne.
Durch die Zeit
rätselhaft
und doch nah
Weiß nichts von dir,
ferner Bruder,
ferne Schwester.
Weiß gar nichts von dem,
was dich bewegte.
Nur eines:
Uns verbindet
dieser Ort
Uns verbindet
dieser Gott
Gemeinsam
glauben wir
Gemeinsam
hoffen wir
Wir sehen uns
dereinst
bei ihm.
Erzähl mir dann,
ferner naher Bruder,
ferne nahe Schwester,
von dir.
Von deinem Leben.
Heiko Kuschel
Für ein Kind
Günter Bruno Fuchs
Lied: Wenn keiner mehr an Wunder glaubt
Station 4: Grabmal Glockengießer Zeitlos
Klas Zeitlos
1492 Jahr an Sankt Peter und Pauls-Tag starb Meister Klas Zeitlos Glockengießer.
526 Jahre ist das nun her. Ich, Glockengießermeister Klas Zeitlos, bin schon über ein halbes Jahrtausend tot. Doch dieses kleine Grabmal zeugt noch heute von mir. Klas Zeitlos, Begründer der Glockengießerfamilie Zeitlos, Bürgermeister der Stadt Schweinfurt.
Ob ich eine Glocke für diese Kirche goss? Wenn ja, so hat sie nicht überdauert. So vieles ist geschehen. Kriege kamen und gingen. Die Nationalsozialisten zogen die Glocken ein, um sie zu Waffen umzuschmieden, nicht alle kamen wieder zurück. Gewiss ist nur, dass ich die große Glocke von St. Stephan in Würzburg goss. Auch in Hanau hängt eine meiner Glocken in der Magdalenenkirche.
Viele Glocken goss ich wohl für die Kirchen der umliegenden Städte und Dörfer. Überall hinterließen mein Sohn und ich stolz das Wappen unserer Stadt. Und doch kann kaum einer heute noch überblicken, wo mein Werk weiterwirkt.
Zwei Generationen lang wirkte die Familie Zeitlos in Schweinfurt. Mein Sohn Hans wurde später Bürgermeister, so wie ich es bereits war.
Unser Wirken hat Spuren hinterlassen, bis heute. Über so vielen Orten läuten immer noch die Glocken, die wir einst gossen, vor einem halben Jahrtausend. Kein Mensch weiß, in wie vielen Kirchen unsere Glocken heute noch hängen. Zeitlos hießen wir. Zeitlos sind sie geworden, unsere Glocken. Zur Ehre Gottes haben wir sie gegossen. Und voller Stolz auf unsere Heimatstadt, unser Schweinfurt.
Ist er nicht wunderschön, der Klang der Glocken über der Stadt? Haltet inne. Hört darauf. Nicht auf meine Glocke, aber auf die älteste noch erhaltene dieser Kirche. 70 Jahre nach meinem Tod wurde sie hergestellt. 43 Zentner schwer. Fast fünfhundert Jahre alt.
Läuten der Zwölfuhr-Glocke
Die Glocken
Camill Hoffmann
Du kennst mich
Mein Lebenston wird schon sehr bald verklingen.
In hundert Jahren weiß kein Mensch von mir.
Bis dahin will ich dir zum Lobe singen.
Bis dahin bringe ich mein Loblied dir.
Ich leb und liebe, doch du setzt den Rahmen.
Ich hoff und singe, bete ohne Ruhn.
Doch einmal ist‘s genug, ich spreche „Amen“
und leg in deine Hände all mein Tun.
Ich habe mich gemüht, von dir zu künden.
Doch wird es weiterwirken durch die Zeit?
Wird irgend jemand durch mein Tun dich finden?
Führ meine Hände, Gott, ich bin bereit.
Heiko Kuschel
Psalm 139
HERR, du erforschest mich
und kennest mich.
2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es;
du verstehst meine Gedanken von ferne.
3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich
und siehst alle meine Wege.
4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge,
das du, HERR, nicht alles wüsstest.
5 Von allen Seiten umgibst du mich
und hältst deine Hand über mir.
6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
ich kann sie nicht begreifen.
7 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
8 Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
9 Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
10 so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
11 Spräche ich: Finsternis möge mich decken
und Nacht statt Licht um mich sein -,
12 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,
und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
Psalm 139, 1-12
Lied: Wo ich auch stehe
Station 5: Maria
Maria
Mutter Gottes, so nennt ihr mich. Mich, das einfache Mädchen, das schwanger wurde. Meinen Sohn trage ich auf meinem Arm.
Ach, hätte ich nur geahnt, wie diese Geschichte enden würde! Hätte ich nur eine Ahnung davon gehabt, welches unermessliche Leid über mich kommen würde! Ich hätte doch nichts tun können, nein. Aber vielleicht wäre ich vorbereitet gewesen auf das, was kommt. Mein Kind, mein geliebtes Kind. Verraten, von allen verlassen, verurteilt und gekreuzigt. Mein Kind, mein geliebtes Kind, am Kreuz.
Könnt ihr euch auch nur annähernd vorstellen, wie grausam das war?
Könnt ihr euch auch nur annähernd vorstellen, was das für mich bedeutete?
Ja, er hatte davon gesprochen, dass er sterben müsste. Doch ich hatte es weit weg geschoben. Ich hatte es nicht wahrhaben wollen. Und doch war es klar: Kein Weg führte daran vorbei, an diesem Kreuz, an diesem Leid.
Kein Weg führte an meinem eigenen Leid vorbei.
Maria bin ich. Ich war doch nur das einfache Mädchen, das schwanger wurde. Ich war die, die Gott auserwählt hatte. So viel Trauer. So viel Leid. Und doch: Die Hoffnung für die Welt.
Kindertotenlied
Du bist ein Schatten am Tage
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage,
Da wohnst du bei mir dicht;
Du bist mein Schatten am Tage
Und in der Nacht mein Licht.
Wo ich auch nach dir frage,
Find’ ich von dir Bericht,
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
Du bist ein Schatten am Tage
Und in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht.
Friedrich Rückert
Maria, ahntest du …
Maria, ahntest du, dass dein Baby einst auf dem Wasser wandeln würde?
Maria ahntest du, dass dein Baby unsre Kinder retten würde?
Ahntest du, dass dein Baby kam, um uns zu erneuern?
Dieses Baby, das du gebarst, wird uns erretten.
Maria, ahntest du, dass dein Baby einen Blinden heilen würde?
Maria ahntest du, dass dein Baby einen Sturm mit bloßer Hand stillen würde?
Ahntest du, dass dein Baby wanderte, wo Engel gehen?
Und wenn Du Dein Baby küsst, küsst du das Gesicht Gottes.
Die Blinden werden sehen, die Tauben hören und die Toten werden auferstehen.
Die Lahmen werden springen, die Stummen sprechen das Loblied auf das Lamm.
Maria ahntest du, dass dein Baby Herr der ganzen Schöpfung ist?
Maria ahntest du, dass dein Baby eines Tages Herr sein würde über alle Nationen?
Ahntest du, dass dein Baby des Himmels vollkommenes Lamm ist?
Das schlafende Kind, das Du gerade hältst, das ist der große "Ich bin".
Lied: Mary did you know
Station 6: Altar
Altar
Vorbei die Zeit des Trauerns.
Vorbei die Zeit der Not.
Das Altarbild von Adolf Kleemann weist uns hin auf das, was unseren Glauben begründet.
Auf das, was unsere Hoffnung ist:
Jesus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja!
Er fährt hinauf. Strahlend. Farbig. Kraftvoll. Und unter ihm, am Boden, regt sich alles. Die Menschen stehen auf. Aus ihren Gräbern. Aus ihrer Schuld. Aus Tod und Verstrickung. Aus allem, was sie beherrschte. Jesus, der Auferstandene, reißt sie mit sich. Alles wird anders. Alles wird gut.
Du kommst uns entgegen
Hanns-Dieter Hüsch
Mehr Licht
Sie sagen: Einmal wird Licht sein und du wirst dein Bett nehmen und gehen. Licht ist das Kleid, das du trägst und ein Licht leuchte über deinem Leben. Was du in der Finsternis sagst, das wird man im Licht hören. Du wirst dich nicht mehr fürchten. Denn was nun geschieht, führt näher ans Licht.
Doch alles hat seine Zeit. Auch das sagen sie.
Lied: Der Müden Kraft
Vaterunser
Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigem.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Ostersegen
Und nun geht. Geht mit Gottes Segen.
Geht in euer Leben, voller Kraft.
Liebt und streitet, lacht und weint,
lebt jeden Tag voll großer Leidenschaft.
Also geht. Gehet eure Wege.
Füllt die Tage, die er euch geschenkt.
Nutzt eure Gaben, bringt die Welt zum Blühen!
Denn alles kommt von dem, der Erd und Himmel lenkt.
Und nun geht. Das Leben ist voll Wunder.
Und selbst der Tod ist nunmehr nur ein kleines Tor.
Aus allem Dunkel, allen Trauerfalten
spitzt heut das Licht von Gottes Liebe vor.
Heiko Kuschel
Ich bin Mose
Texte aus den ersten zehn "Klängen in der Nacht" finden Sie im Buch:
"Ich bin Mose. Kirchliche Kunstwerke erzählen" von Heiko Kuschel, ISBN 978-3-7347-4264-4, 7,90 €
www.ichbinmose.de