Predigt zum Erntedankfest: Brot brechen, Welt verändern

Predigt am Erntedankfest, 5.10.2025, in  Gochsheim 
 

Text  Jes 58, 7-12 
Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11 Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: „Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne.”

Liebe Gemeinde, liebe Trachtler,

Es sind unruhige, unsichere Zeiten, in denen wir leben. Vor lauter Krisen weiß man gar nicht mehr, wo man hinschauen soll – oder vielleicht: Wo man wegschauen soll. So viel haben wir überstanden in den letzten Jahren, Corona, Wirtschaftskrise, Inflation. Aber so richtige Aufbruchsstimmung kommt nicht auf, so sehr die Politik auch versucht, sie zu beschwören.

Fast so wie im dritten Teil des Jesaja-Buches, aus dem unser heutiger Predigttext stammt: Der „Tritojesaja“ entstand wahrscheinlich nach dem Ende des babylonischen Exils. Das Volk Israel war wieder zu Hause, aber die große Hoffnung auf eine erneuerte Gesellschaft, einen neuen Anfang in einer neuen Zeit, die erfüllte sich nicht einfach so. Stattdessen herrschten soziale Spannungen, Armut und Ungerechtigkeit.

Für Jesaja – oder wer immer diesen dritten Teil geschrieben hat – waren diese sozialen Fragen ganz grundlegend auch für den Glauben. Kurz vor unserem Text wendet er sich gegen das „falsche Fasten“, das nur auf Selbstdarstellung zielt. Richtiges Fasten? Das ist: Für Gerechtigkeit sorgen. Den Armen beistehen. Für die Entrechteten da sein. Hungrige speisen, Arme aufnehmen, die Nackten kleiden. „Brich mit den Hungrigen dein Brot!“

Gott lässt sich nicht durch religiöse Rituale beeindrucken, sagt Jesaja. Gott will, dass Glaube sich in tätiger Nächstenliebe zeigt und in gerechte Strukturen übersetzt wird. Und das nicht nur von den einzelnen Menschen. Hier ist die ganze Politik, die gesamte Gesellschaft gefragt!

Für Jesaja ist klar: Nur in einer gerechten Gesellschaft ist Heil zu finden. Nur, wenn wir alle nach Gerechtigkeit streben, dann kann unsere Welt wirklich heilen von all den Verletzungen, den Streitigkeiten, der Unterdrückung, den Kriegen und Konflikten. Damals zu Jesajas Zeiten musste sich die ganze Gesellschaft neu ordnen nach der Zeit des Exils, und Jesaja gab die Richtung vor, die Gott gefällt. Und diese Richtung heißt: Recht und Gerechtigkeit. Für alle. Brich mit dem Hungrigen dein Brot.

Auch heute sind wir in einer Zeit der Umbrüche. Auch heute erleben wir, dass Politik oder Gesellschaft sich gern mit „Werten“ schmücken. Auch mit christlichen Werten. Wir erleben – wie Jesaja damals –  wie schnell gerade die Schwächsten ins Abseits geraten. Wenn vom Kürzen beim Bürgergeld die Rede ist oder von Einsparungen bei der Pflege, dann klingt das oft so, als seien Menschen in Not selber schuld und müssten sich nur mehr anstrengen. Genau das kritisiert Jesaja: Frömmigkeit ohne soziale Gerechtigkeit ist leer.

Die Vision Jesajas ist, dass Heil und gesellschaftlicher Zusammenhalt nur wachsen, wenn die Schwächsten gestärkt werden. Der Umgang mit den Schwächsten entscheidet über den Segen Gottes. Frömmigkeit ist für Jesaja untrennbar mit sozialem Handeln verbunden. Und eben nicht nur mit dem persönlichen Handeln. Für Jesaja geht’s klar auch um gesellschaftliche, politische Strukturen, die den Armen ermöglichen, am Leben teilzuhaben.

Heute feiern wir Erntedank. Wir danken Gott dafür, dass wir genug haben. Ja, wenn wir ehrlich sind: Manchmal sogar im Überfluss. Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Es ist gut, dass Jesaja uns heute fast brutal mit dem Kopf darauf stößt: Ihr habt eine Verpflichtung. Eigentum verpflichtet, heißts im Grundgesetz. Und in der Bibel eben: Sei da für die Schwachen, die Entrechteten, für die Flüchtlinge, für die Armen. Sorge dafür, dass alle Gerechtigkeit erfahren.

Wenn wir einander beistehen, wenn wir zusammenarbeiten, dann kann das Heil wachsen und gedeihen. So ähnlich, wie auch bei der Ernte viele zusammengearbeitet haben. So ähnlich, wie viele von euch die letzten Wochen und auch gestern noch beim Schmücken der Wagen, bei der Vorbereitung des Festes, beim Zwiebelschneiden und Bänke stellen. Erntedank – das ist nicht nur ein Fest des Dankes. Es ist ein Fest der Gemeinschaft, der Zusammenarbeit, das Aufeinander achtens. Es ist ein Bild dafür, dass viele zusammenarbeiten müssen, damit Leben gelingt.

Wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen, wenn wir auf die achten, die es schwer haben, wenn wir für die da sind, die nicht genug haben: Dann kann unsere Gemeinschaft wachsen, schreibt Jesaja. 

Und dann, wenn wir so handeln, dann wird Gottes Segen auf uns liegen. Dann wird unser Land aufblühen. Lassen wir ihn nochmal selbst zu Wort kommen:

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Erntedank: Das Fest der Gerechtigkeit. Der Nächstenliebe. Das Fest, das uns zu einer gerechteren Gesellschaft führen will, in der niemand unterdrückt wird. Zu einer Gesellschaft, in der alle genug zum Leben haben. An Nachkirchweih habe ich in meiner Predigt das hebräische Wort genannt, das für so eine Gesellschaft steht, in der alle miteinander versöhnt sind:

Schalom. Frieden. Umfassende Versöhnung von Gott, Mensch und Natur.

Daran lasst uns arbeiten.

So lasst uns als Land aufblühen.

Dann werden wir sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Amen.