Ansprache beim MehrWegGottesdienst: Alles muss raus!
Alles muss raus!
Als Jugendlicher hab ich von meiner Oma mehr aus Spaß einen riesigen Stoffteddy geschenkt bekommen. Er hieß Anatevka Astanovka Tramwaija, also Anatevka Straßenbahnhaltestelle. Hatte schon einen Brandfleck am Kopf und lag eigentlich nur noch irgendwo rum. Ich hab ihn raus zum Sperrmüll. Da lag er nicht lang – ich musste ihn wieder reinholen. Hab’s nicht fertiggebracht, ihn da draußen liegen zu sehen, ihn loszulassen.
Alles muss raus? OK, vielleicht nicht alles. Dinge, mit denen wir Schönes verbinden, lassen wir nicht so leicht los. Anatevka staubt jetzt irgendwo vor sich hin, aber sie ist halt nicht weg. Nur – irgendwann ist der ganze Keller voll mit Gerümpel. Irgendwann ist auch die Seele voll mit dem ganzen Gerümpel, das wir so mit uns herumtragen. Alte Erinnerungen und Hoffnungen. Ziele, die mal wichtig waren, aber es eigentlich gar nicht mehr sind. Viel Schönes dabei, manches, was ich eigentlich nicht mehr brauche, aber loslassen kann ich doch nicht so recht.
Eigentlich weiß ich doch, wie befreiend so ein Frühjahrsputz sein kann. Altes hinter mir lassen, klar. Aber, na ja... der Teddy ... meine alte, kaputte Teekanne mit Sprung, die mich durchs Studium begleitet hat ... die Legosteine, mit denen ich als Kind gespielt habe, die können bestimmt noch die Enkel mal verwenden ...
Alles muss raus?
Nicht alles, sicher nicht.
Aber bei manchen Menschen habe ich auch das Gefühl: Sie hängen sogar an den schlechten Gefühlen. Nach Jahren, ja Jahrzehnten erzählen sie von Momenten, in denen sie sich geärgert haben. Manche sprechen ihr Leben lang nicht mehr miteinander, weil sie mal gestritten haben. Ach, du kennst solche Situationen vermutlich selbst. Über die anderen kannst du lächeln oder sie sogar bedauern.
Aber – vielleicht eine schwere Frage:
Welchen Ärger, welche Verletzungen, welche Wut trägst du nach wie vor mit dir herum? Was hast du vorhin in den Luftballon geblasen? Was ist vielleicht noch immer da?
Im Galaterbrief heißt es einmal: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
Lass dich nicht knechten von dem, was dich bedrückt.
Alles muss raus.
Mach Platz.
Lass den negativen Gefühlen nicht so viel Raum.
Übe es zu lachen, wie wir es vorhin getan haben.
Übe es, schöne Gedanken zu haben.
Ganz wichtig ist dabei zu wissen: Manchmal geht das nicht. Manchmal ist das Leben zu schwer, das Niederdrückende zu groß. Manchmal sind’s auch echte Depressionen, die dich alles nur noch schwarz sehen lassen.
Hol dir Hilfe. Mach es nicht allein. Du bist nicht allein. Und vor allem: Du bist nicht schuld, wenn du allein aus dem Loch nicht mehr rauskommst. Manchmal reicht es nicht, jemandem zu sagen: „Lach doch mal!“ oder „Sing doch mal ein fröhliches Lied!“.
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
Alles muss raus. Die trüben, dunklen, schweren Gedanken müssen raus. Die Zweifel, die Ängste, die uns zurückhalten müssen raus. Damit Platz ist für anderes:
Für Lachen.
Für Vertrauen.
Für Liebe.
Ja klar wird das Leben nicht einfach 100% schön, nur weil ich einen Schalter umlegen. Klar wird mein Vertrauen mal missbraucht werden, wird mein Lachen im Hals steckenbleiben, wird Liebe nicht erwidert werden.
Und doch:
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
Fenster auf und frische Luft herein! So haben wir grade gesungen in dem Song, der auf den ersten Blick gar nichts mit dem Thema zu tun hat.
Alles muss raus. Es braucht aber auch Kanäle dafür. Für die Wut, die Angst, die Sorgen. Die beste Musik, die besten Gedichte entstehen oft in Zeiten, in denen es den Menschen nicht gut geht. Mozart soll so gewesen sein. Und das wunderschöne „Tears in Heaven“ hat Eric Clapton für seinen verstorbenen Sohn geschrieben.
Was ist deine Art, Dinge rauszulassen? Sport vielleicht? Musik? In den Wald gehen und alles rausschreien?
Werde laut. Werde aktiv. Lass es raus, was dich bedrückt.
Mach Platz.
Fürs Lachen.
Fürs Vertrauen.
Für die Liebe.
Du kannst dich dafür entscheiden. Du bist dazu befreit.
Amen.
Lied: "Für die Liebe" (Berge)
Mehr vom Gottesdienst unter https://www.mehrweggottesdienst.de/MWG/ablauf-vom-16102022