Predigt: Beten und zur Ruhe kommen
Predigt am Sonntag Rogate 2016
St. Salvator/ St. Johannis Schweinfurt, 1.5.2016
Text: 1. Tim 2, 1-6a
So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.
Liebe Gemeinde!
Diese Predigt habe ich zu einem großen Teil im Zug geschrieben. Auf dem Weg von Linz nach Hause. In Linz hatten sich knapp 100 Menschen aus den unterschiedlichsten Citykirchenprojekten getroffen, um sich drei Tage lang auszutauschen und ins Gespräch zu kommen. „Kirche in der City – zwischen Stahl und Elektronik“ war der Titel dieser Tagung. Wir haben die Voestalpine kennengelernt, ein großes Stahlwerk, und die pastorale Arbeit im Treffpunkt mensch und arbeit auf dem Firmengelände. Wir waren im ars electronica center und haben gefragt: Wie wird sich unser Leben und auch die kirchliche Arbeit durch die Digitalisierung verändern? Ich glaube, da kommt noch einiges auf uns zu, und selbst ich, der ich ja doch sehr technikinteressiert bin, bin bei manchen Entwicklungen skeptisch, ob das für uns Menschen so gut ist.
Wir waren sogar bei einem Empfang des Landeshautpmanns, also quasi des Ministerpräsidenten von Oberösterreich, der uns aus seiner Sicht beschrieb: Was tut die Politik, um die Menschen gerade in der Stadt noch zu erreichen? Spannend, dass er da fast genau die gleichen Fragenstellungen und Probleme nannte, die uns in den Citykirchenprojekten bewegen.
Warum ich das alles erzähle? Weil eines ziemlich klar war, egal, ob es um die Arbeit in Bremen, in Berlin, in Linz oder in Schweinfurt geht: Ein „ruhiges und stilles Leben“, wie in unserem Predigttext gefordert, ist das ganz bestimmt nicht, was wir als Citykirchenarbeiter da haben. Ganz im Gegenteil. In der City ist Leben und wir als Kirche haben Anteil daran. Das ist bunt, vielfältig und manchmal auch laut. Ruhig und still? Nein, sicher nicht.
Das zweite, was in Österreich natürlich gerade obenauf lag und das in diesem Predigttext vorkommt: Die Obrigkeit. Wie positioniert sich die Kirche zu einem möglichen Präsidenten von der FPÖ? Können wir, falls es denn tatsächlich dazu kommen sollte, für den Fürbitte halten und uns mit einem ruhigen und stillen Leben begnügen?
Nein, können wir nicht. Darin waren sich alle einig. Wir müssen als Christinnen und Christen hier Position beziehen und klar sagen: Jeder Mensch ist vor Gott gleich viel wert. Wir können uns nicht zurückziehen in ein ruhiges und stilles Leben, so wie es dieser Predigttext hier beschreibt. Auch wenn das manchmal einen gewissen Reiz hat, diese Vorstellung: Mein Leben läuft in geordneten Bahnen, ohne große Krisen, und was um mich herum in der Welt geschieht, das ist für mich erst einmal zweitrangig. Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sicherer Ruh. Ich glaube, dass viele sich nach so einem einfacheren, ruhigeren Leben sehen und deshalb zum Teil Positionen vertreten, die wir eigentlich seit vielen Jahren überwunden hatten. Aber ein ruhiges und stilles Leben? Das kommt so schnell nicht wieder zurück.
Wie kommen wir jetzt aus diesem offensichtlichen Widerspruch zu unserem heutigen Predigttext wieder heraus? Natürlich könnten wir jetzt weiter überlegen über das Verhältnis von Kirche und Staat, andere Bibelstellen heranziehen, in denen dieses Verhältnis sehr viel stärker problematisiert wird als hier. Aber das ist eigentlich gar nicht das Thema heute. Heute, am Sonntag Rogate, geht’s ums Gebet.
Also stellen wir uns doch mal die Frage: Wie ist das mit dem Gebet? Können wir, falls es denn tatsächlich dazu kommen sollte, für einen Präsidenten der FPÖ Fürbitte halten? Oder meinetwegen in Deutschland für Politiker der AfD? Schwierige Frage, oder? Was würden Sie antworten?
Ich sage: Na aber selbstverständlich können wir für sie beten. Sicher nicht für ihre Vorhaben und Pläne. Aber für den Menschen. Um Weisheit und Einsicht. Um Vernunft. Vielleicht auch darum, dass er oder sie manche Position überdenkt.
Und jetzt blicke ich nochmal zurück auf den Predigttext von heute und stelle fest: Da haben sich wohl auch einfach manche Worte in meiner Wahrnehmung ziemlich in den Vordergrund geschoben. Im ersten Satz steht nämlich erst einmal gar nichts von der Obrigkeit und von einem stillen Leben. Da steht einfach nur: So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.
Für alle Menschen. Also nicht nur für die, die mir sympathisch sind. Sondern gerade auch für die, die ich überhaupt nicht ausstehen kann. Für die, die mir auf den Geist gehen. Für die, die mich wütend machen.
Bittet für eure Feinde, sagt auch Jesus. Bittet für alle, sagt unser Predigttext. Und das heißt dann eben unter anderem auch: Für die Obrigkeit. Als ein Beispiel. Denn wir können ja alles vor Gott bringen. Das, was uns gefällt. Das, was uns freut. Aber auch das, was uns nicht passt, was uns Angst macht, was wir für völlig falsch halten.
Kann so ein Gebet denn etwas bewirken? Ja, das glaube ich auf jeden Fall. Und nicht nur in der Form, dass Gott auf das hört, was ich ihn bitte. Sondern es kann auch bei mir selbst etwas bewirken.
So wichtig es ist, Position zu beziehen, so wichtig es ist, in der City präsent und aktiv zu sein, so wichtig es auch ist, Gemeindeleben zu gestalten und all das: Am Anfang, als Basis von allem, steht das Gebet. Und dieses Gebet: Es verweist mich darauf, dass ich nicht die ganze Welt alleine retten muss. Es verweist mich darauf, dass nicht alles nur von mir selber abhängt. Dieses Gebet: Es macht mich erst einmal ruhig und still vor Gott. Ruhig und still, damit ich dann in einem zweiten Schritt – aber eben erst in einem zweiten Schritt! - mich wieder einsetzen kann für andere. Für die frohe Botschaft. Für eine bessere Welt oder was auch immer. Doch am Anfang steht das Gebet.
Jetzt muss ich noch etwas aus Linz erzählen. Wir waren dort im Ars Electronica Center im sogenannten Deep Space. Das ist eine einzigartig leistungsfähige Video-Leinwand. Die leistungsfähigste der Welt, mit Computerprogrammen, die es ermöglichen, zum Beispiel das gesamte bekannte Universum in 3D zu betrachten und vieles mehr. Und so sind wir in wenigen Minuten virtuell in den Weltraum hinausgeflogen. Schon sehr bald war unsere Sonne nur noch ein Fleckchen unter anderen. Dann unsere ganze Galaxie. Unser Galaxienhaufen. Zuletzt waren wir außerhalb des Bereichs, den wir beobachten können – 14 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Vierzehn Milliarden Lichtjahre. Und überall: Sonnen. Galaxien. Und weitere Sonnen und Galaxien. Und noch mehr Sonnen und Galaxien. In einer unüberschaubaren, unvorstellbaren, überwältigenden Fülle. Und ich? Ein winziges Pünktchen darin, nein, nicht mal mehr ein Pünktchen. Nicht mehr wahrnehmbar, so wie selbst unsere ganze Galaxie nicht mehr wahrnehmbar war.
Und trotzdem sagt Gott zu mir, zu Ihnen: Du bist wichtig. Du bist einzigartig. Du bist geliebt. Du kannst und musst nicht das ganze Universum, nicht einmal deine ganze Welt retten. Du kannst und musst nur an deinem Platz das Nötige tun. Das reicht.
Das zu erfahren, das mir im Gebet wieder klarzumachen: Es macht mich ruhig. Und still. Und gibt mir Mut, dann wieder weiterzumachen. Denn es ist ja mit dem Gebet nicht getan. Der nächste Satz unseres Textes sagt uns, was Gott von uns will: Dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Damit wären wir dann wohl wieder bei manchen Politikern, die nur bestimmten Menschen helfen wollen. Aber das Fass möchte ich nun nicht mehr aufmachen. Nur so viel: Daran arbeiten wir als Kirche und vor allem ja auch in der Diakonie, dass allen – oder wenigstens möglichst vielen – Menschen geholfen werde. Und daran arbeiten wir in allen unseren Stellen, in der Gemeinde, in der Citykirchenarbeit, in unseren Gruppen und Kreisen, in den Diensten und Werken: Wir arbeiten daran, dass die Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, sprich: Dass sie von der frohen Botschaft Jesu hören und sie für sich als Wahrheit annehmen. Oder wie der Predigttext es ausdrückt: Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.
Lassen Sie uns daran weiter arbeiten. Im Gebet die Ruhe finden und dann aus dieser Ruhe heraus und im Vertrauen auf Gottes Beistand fröhlich das Evangelium verkünden. In Wort und Tat. Dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.